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Interview mit Björn Dorra von VersaCommerce
„GRÜNDEN IST NICHT AUF WOLKEN GEHEN. GRÜNDEN IST EHER IN DEN BOXRING ZU STEIGEN UND NACHHER NOCH ZU STEHEN.”
Der Mann, der das sagt, weiß wovon er spricht – Björn Dorra, Gründer & Geschäftsführer von VersaCommerce. Das Unternehmen aus dem Herzen Hannovers sieht sich als bester Anbieter für Shop-Software in der Cloud. In unserem Experten-Interview erzählt er uns, was eine Unternehmensgründung alles mit sich bringt, warum ihn ein Brief glücklich macht und wieso es wichtig ist mit Leidenschaft sein Ziel zu verfolgen.
Herr Dorra, bitte erzählen Sie unseren Lesern etwas über sich und Ihren Werdegang.
Im Grunde genommen bin ich in der IT seit ich denken kann. Also der erste Computer war ein ZX81 – das interessiert hier nur die Nerds unter uns. Den hab ich auch noch selber zusammengebaut. Meine Eltern waren damals etwas verwirrt, was mit diesem Kind mal werden könnte, und ich habe eigentlich schon während der Schulzeit viel programmiert und anschließend medizinische Informatik studiert.
Aus dem Studium heraus hat sich die erste Geschäftsidee entwickelt. Es ging um das Management von Stoffwechselkrankheiten. Durch einen Zufall bin ich mit einem amerikanischen Gesundheitskonzern in Kontakt gekommen, die haben mir die Möglichkeit gegeben, dass ich in den USA das Thema weiter verfolgte. Dort wurde für das Projekt ein privater Investor gefunden. Das Unternehmen wurde relativ schnell an einen großen Pharmakonzern verkauft.
Dann bin ich zu einer Zeit nach Deutschland zurückgekommen, als das Internet dabei war “massentauglich” zu werden. Ich hab das Thema aufgegriffen, hab es aufgesogen und wir haben dann sehr schnell, sehr viel E-Commerce für verschiedenste Kunden gemacht. Ich würde mal sagen, wir haben mit die ersten Shops in Deutschland umgesetzt.
Hier aus Hannover?
Ja, hier aus Hannover heraus. Ich bin sehr bewusst wieder zurück nach Hannover. Ich hätte nach der Zeit in den Vereinigten Staaten eigentlich überall hingehen können, aber es zog mich in die alte Heimat. Hannover ist wirklich eine schöne Stadt zum Leben. Und wir haben von hier aus viele E-Commerce Kunden betreut. Irgendwann waren wir sehr unzufrieden über die “Softwareszene” im Allgemeinen.
Die Open Source Pakete waren damals sehr unreif. Was es an Lizenzsoftware gab, war im wesentlichen “Intershop” und ein paar Pakete aus dem Ausland. Ich sage es mal vorsichtig: Eine günstige Auftragslage hat es uns ermöglicht ein eigenes Framework zu entwickeln, was wir für unsere Kundenprojekte genutzt haben. Dann hat uns irgendwie der “irre Iwan” geritten und uns gesagt: “Macht ein Produkt daraus!” Das ist natürlich deutlich komplexer, als einfach eine Lösung an Kunden zu verkaufen. Also etwas, das individuell für den Kunden entwickelt wurde.
Diesen Weg sind wir weiter gegangen, und heute gibt es VersaCommerce hier in Hannover und unser Unternehmen gibt immer mehr Leuten einen netten Arbeitsplatz.
Für unsere Leser sind zwei Aspekte der Persönlichkeit Björn Dorra besonders interessant. Einmal der Existenzgründer und einmal Ihr Produkt: VersaCommerce. Erzählen Sei uns bitte zunächst etwas zu „VersaCommerce”.
VersaCommerce ist von Grund auf als E-Commerce-Produkt neu entwickelt worden. Traditionelle Produkte, die wir kennen, sind eigentlich installations- bzw. serverbasiert. Ob Singleserver oder Multiserver ist fast egal. Also die Größeren haben mehrere Server und teilen diese in Server für Datenbanken, WebFrontend, Administration usw auf.
VersaCommerce macht einen Bruch mit dem ganzen System und ist von Grund auf als Cloudanwendung entwickelt worden. Das ist wirklich ein massiver Unterschied, weil unsere Kunden mit VersaCommerce jederzeit die aktuellste Version haben können. Wenn für einen Kunden eine Kleinigkeit nicht so ist, wie er sich das wünscht, dann können wir das beheben und in 5 Minuten einen Fix einspielen, der nicht im Livebericht sichtbar ist. Allein das ist heute mit Serverfunktion nicht zu machen.
Und das nächste ist, wir können für unsere Kunden eine gewaltige Skalierbarkeit zur Verfügung stellen. Unsere Kunden gehen von Kleinunternehmen bis hin zu DAX 100 Unternehmen. Wenn dann ein DAX-Kunde einfach mal überregional z.B. Zeitungswerbung schaltet, hat das einen wirklich massiven Zulauf zur Folge. Was das bei unseren Kunden, die Fernsehspots schalten bedeutet, kann man sich vorstellen.
Das heißt, da passiert in sehr kurzer Zeit unglaublich viel. VersaCommerce macht das, es klingt vielleicht arrogant, mit dem kleinen “Lämmerschwänzchen” und skaliert einfach hoch. Dafür ist VersaCommerce entwickelt worden. Als Lösung aus der Cloud, die selbstskalierend ist. Und Skalierung heißt auch immer heilen, wenn ich viele Server betreibe, dann haben ich zwangsläufig irgendwelche dazwischen, die nicht so funktionieren, wie sie eigentlich funktionieren sollten.
Hardware fällt heute deutlich schneller aus als noch vor 10 Jahren. VersaCommerce erkennt das und gliedert einfach so ein System aus dem Kollektiv aus und tauscht das gegen neue Systeme. Das bringt dem Kunden eine Lösung, bei der er sich auf das Wesentliche konzentrieren kann – es bietet ihm den Raum zu handeln. Er muss sich eben nicht um IT-Struktur, um Software oder um Sicherheit kümmern.
Sicherheit ist ja auch ein Aspekt. Viele unserer Kunden erleben hier und da auch mal kleine Erpressungsversuche. Einige unserer großen Kunden waren schon mit großen Serverattacken konfrontiert. Das können wir mit unserer Infrastruktur und auch durch die der Partnerunternehmen, mit denen wir zusammenarbeiten, einfach wegmigrieren. Das heißt letztendlich, wir übernehmen das gesamte Thema Technologie für unseren Kunden. Das ist absolut unser Kerngeschäft. Und das ist der wesentliche Unterschied, den man bei VersaCommerce erleben kann.
Hatten Sie Bedenken bei dem Gedanken an Ihre Unternehmensgründung?
Ja, wir haben als Agentur ein unglaublich bequemes Leben geführt, weil wir einfach gut waren in dem Job, den wir hatten. Unsere Auftragsbücher waren ständig zwei Jahre im Voraus voll. Das ist eine komfortable Situation, die man aufgibt, wenn man sagt: “Komm wir machen jetzt ein Produktgeschäft.” Eins muss einem Gründer klar sein: Produkt und Dienstleistung lässt sich nicht gut mixen. Ich mache entweder Produkt, oder ich mache Dienstleistung.
Man kann natürlich um das Produkt herum eine Supportdienstleistung anbieten und diesen Bereich auch effizient umsetzen, aber das klassische Agenturgeschäft mussten wir dafür aufgeben. Das übernehmen jetzt unsere Partner, die kümmern sich um das Agenturgeschäft und wir konzentrieren uns auf die Technologie. Das war natürlich eine große Umstellung. Unternehmer zu sein heißt, Dinge zu unternehmen und auch Risiken einzugehen – und uns macht es einen Heidenspaß, Produkte zu entwickeln.
Mit VersaCommerce bieten Sie eine Shop-Software als Cloud-Lösung an. Wie kam es dazu?
Wir bieten für große Enterprise-Kunden On-Premise-Installs an. Das bedeutet im wesentlichen, dass eine kleine Anzahl der Systeme, die im Betrieb sind, in der privaten Cloud betrieben werden. Aber wir bieten keinen reinen Serverinstall an – weil die Vorteile, an die wir glauben, die lassen sich damit nicht realisieren.
Ich glaube, das Tagesgeschäft gibt uns hier Recht. Wir werden rund um die Uhr mit Kunden konfrontiert, die sagen: “Ich komme von Shopware, Magento oder Oxid und ich möchte das nicht mehr!”
Die wollen schlichtweg nicht mehr IT-Administrator sein, die wollen nicht mehr diese Kopfschmerzen haben. Zum Beispiel, Kunden kommen mit der Aussage zu uns: “Drei Versionen nicht upgegradet und jetzt wird es plötzlich richtig teuer”. Jeder Händler der mal so ein Upgrade von Magento 1 auf 2 gemacht hat, sagt jetzt: “Oh ja, das kenne ich – leider!
Sie werben mit: „Entwickelt mit viel Herz in Hannover”. Zu wie viel Prozent ist VersaCommerce in Hannover oder Deutschland entwickelt worden und wie wichtig war Ihnen der regionale Aspekt?
Ich denke, dass VersaCommerce zu 98% in Hannover entwickelt worden ist. Wir haben auch Mitarbeiter, die nicht ständig hier am Standort sind. Wir vertreten die Meinung, dass wir als “distributed company” ganz gut funktionieren und unseren Mitarbeitern die Möglichkeit geben wollen, einfach drei Wochen z.B. aus Spanien heraus arbeiten zu können. Das ist auch ein Teil davon, wie wir als Startup sagen können: ‘Wir geben dir etwas, was dir ein großer Konzern nur schwer geben kann’. Ansonsten stehen wir beim Kampf um die besten Mitarbeiter mit sehr großen Konzernen im Wettbewerb, die teilweise abnormal hohe Gehälter bezahlen. Wir sagen dann, es ist schöner bei VersaCommerce, es ist netter, ein wenig privater und vor allem kameradschaftlicher.
Sehen Sie das “Made in Germany” als ein Wettbewerbsvorteil oder eher ein unterstützendes Element für das Marketing?
Das ist definitiv ein Wettbewerbsvorteil. Wir sehen uns in erster Linie als E-Commerce Anbieter für den europäischen Raum. Dadurch kennen wir die Bedürfnisse hier deutlich besser, als beispielsweise unsere nordamerikanischen Kollegen, die immer noch der Meinung sind, dass eine Buchhaltung aus einem Quittungszettel besteht. Da wollen wir schon unsere Kunden hier in Europa glücklich machen und nicht im Regen stehen lassen. Auch deswegen ist Entwicklung “vor Ort” ganz klar ein Wettbewerbsvorteil.
Wir haben probiert mit “Offshore-Entwicklern” zu arbeiten und das gestaltet sich nicht einfach. Da kann man einen Strich drunter ziehen und sagen: Wenn die Offshore-Mitarbeiter aus dem größeren europäischem Raum kommen, dann klappt das noch. Ein indischer Entwickler ist zwar günstig, aber da gehört schon viel dazu um dann die Qualität zu produzieren, die unseren Ansprüchen entspricht.
Magento enthält in der Ukraine ein Programmierzentrum und einen eigenen Geschäftszweig in Bangalore.
Mindestens alle zwei Monate schlägt hier ein größerer Dienstleister auf, der sagt, wir geben dir deutsche Projektmanager, deutsche Ansprechpartner, wir haben ein “Rock’n’Roll Team” in Bangladesh. Und ja, die haben einige gute Entwickler dabei. Dagegen kann man nichts sagen. Wir haben dazu eine klare Meinung und die heißt: “Nein, danke!”
Es sind die Erfahrungen, die diese Entscheidung haben reifen lassen. Wir haben das natürlich getestet. Bei der Zusammenarbeit sind Situationen aufgetreten, wo der “gleiche” Mitarbeiter mit dem identischen Namen auf einmal ganz anders programmiert hat als vorher. Da dachten wir, irgendetwas läuft hier schief.
Vielleicht geht es hier ein bisschen langsamer, vielleicht auch ein bisschen kostenintensiver, aber nach einem Qualitätsmaßstab, den wir genau bestimmen können.
Was sind die Eckpunkte Ihres Marketings, um VersaCommerce im Markt bekannt zu machen?
Der Fokus, den wir im Marketing haben, ist sicherlich auch ein Entwickelnder. Wir vermarkten VersaCommerce seit einem Jahr. Aufgrund der Kunden, die zu uns gekommen sind, haben wir natürlich sehr viel gelernt. Wir haben gelernt, mit welchen Kunden wir gut zusammenarbeiten können, für welche Kunden wir auch ein guter Anbieter sind und natürlich auch, mit welchen Kunden wir ein gutes Geschäft machen können. Zum Schluss müssen wir ja eine schwarze Zahl schreiben. Man stellt auf der anderen Seite Kundengruppen fest, wo man sagt, da sind wir – was unseren eigenen Anspruch angeht – nicht gut, da können wir nicht richtig unterstützen, da ist vielleicht ein Strato oder ein 1&1 mit z.B. einer kostenpflichtigen Hotline besser. Wir helfen unseren Kunden, ihre Business-Solution zu finden – als ihnen zu erklären, wie sie ein Produkt online bekommen.
Daraus entwickelt sich unsere Marketingstrategie und in dieser Marketingstrategie werden wir in der nächsten Zeit vor allem über Content Marketing unser Know-how präsentieren. Wir werden ab dem Sommer sehr langanhaltende Flights haben, wo wir neue Partnerschaften verkünden und die entsprechende Zusammenarbeit präsentieren werden. Wir werden sehr gezielt den Businesskunden ansprechen, den Händler, der auch wirklich ein Handelsgeschäft betreibt – der kann das vielleicht online noch nicht betrieben haben – der aber online jetzt dazu nimmt.
Wir werden weniger auf den Händler gehen, der mal schauen möchte, ob ein Shop überhaupt etwas für ihn ist. Dafür ist VersaCommerce wahrscheinlich die zu erwachsene Lösung. Vielleicht ist für ihn ein Jimdo-Shop die bessere Variante, als eine größere E-Commerce Lösung, wie es VersaCommerce oder Plentymarkets zum Beispiel ist.
Sie haben das Thema “PrestaShop” oder “Gambio” angesprochen. Es gibt so einen Begriff, der heißt “cloud washing”. Das sind die Anbieter, die so tun, als wären sie Cloud-Anbieter. Ich zähle die beiden Beispiele dazu. Nur dafür, dass ich eine gehostete Lösung anbiete, bin ich noch keine Cloud-Lösung. Oder anders ausgedrückt, dafür, dass ich einzelne Instanzen für Kunden automatisiert hochfahre, bin ich noch lange nicht eine wirkliche Cloud-Lösung.
Die Lösungen sind trotzdem individuell zu warten und angreifbar durch Attacken oder Hackversuche. Die Vorteile, die ich eigentlich durch eine wahre Cloud-Lösung bekomme, die können die nicht abbilden und das ist sicherlich ein Unterschied, den wir in Zukunft noch deutlicher erklären werden. Die Kunden sind nicht dumm! Die werden das auch irgendwann merken und sagen: “Stopp – ich hab jetzt nur eine virtuelle Instanz hochgefahren bekommen. Stopp – meine Marketing Kampagne rockt, aber mein Shop ist langsam.” Und das ist der Unterschied zu einer wahren Cloud-Lösung, wie wir sie bieten.
Wir haben kleine Kunden mit vielleicht 50 Bestellungen am Tag. Wir haben aber auch Aktionen gefahren, zum Beispiel mit Intel, die über uns im großen Stil Laptops vertrieben haben. Also die Quellen waren Amazon, Otto und so weiter. Intel hat ganz bewusst mit uns das Geschäft abgewickelt und wir haben das komplett durchskaliert. Wir haben Kunden, die “Flash-Sales” – also große Coupon Kampagnen machen – die über einen Tag dann 15.000, 20.000 Bestellungen abwickeln. Das werde ich niemals mit so einer “Cloud-Washing-Lösung” machen können, weil die gar nicht dahin skalieren können. Wenn ich an einem Tag 15.000 Bestellungen abwickele – das kann sich jeder, der technisch ein bisschen bewandert ist, ganz schnell ausrechnen – kann ich nicht mit einem virtuellen Server hinkommen und auch nicht mit einem größeren, ich sage mal “Root-Server”, weil die Kapazitäten dort fehlen. Da brauche ich schon so ein Drittel Server Rack für, um das entsprechend leisten zu können.
Welche Tipps würden Sie Menschen geben, die sich mit dem Gedanken beschäftigen, ein Unternehmen zu gründen?
Es gibt einen amerikanischen Spruch: “Scratch your own itch”. Das heißt, mach das, wo du den Bedarf selber spürst. Wenn du das Gefühl hast, für “Filialfinder” müsste es mal etwas richtig geiles geben, dann mach das! Aber du musst in der Materie sein, du musst sagen: “DAS genau möchte ich wirklich besser machen”. Nicht: “Das könnte auch funktionieren”. Das reicht nicht, damit wirst du nicht erfolgreich. Du musst wirklich Herzblut für dieses Thema haben, du musst das Thema verstehen und du musst bereit sein für den Weg der Gründung.
Gründen ist nicht auf Wolken gehen. Gründen ist eher in den Boxring zu steigen und nachher noch zu stehen. Und das heißt, du musst Schläge einstecken können, und das klappt nur für eine Idee, für die man wirklich brennt. Nur dann ist man in der Lage, die Schläge auch zu verkraften.
Und das nächste ist, mach die möglichst einfachste Version von der Idee, von dem Produkt und gehe damit so früh wie möglich an den Start. Bau nicht unendlich viele Features dazu. Das kann später kommen.
Ja, der Unterschied zum Wettbewerbt ist natürlich, dass dieser eventuell fünf Features mehr hat, aber das Produkt ist mehr als eine Featureliste. Es ist die Art und Weise, wie man mit Kunden umgeht, wie man eine Kultur in seiner eigenen Firma aufbaut und damit sollte man sehr früh starten. Man verzichtet dann auf ein, zwei oder drei Features, aber macht dafür das, was man macht, sehr gut. Der Rest kommt fast von allein. Durch Features kommen keine Kunden.
Was war bislang Ihre negativste Erfahrung als Unternehmer?
Einstecken gehört zwangsläufig dazu, und das tut häufig weh. Du kannst auf so unterschiedliche Arten und Weisen einstecken. Du bekommst beispielsweise eine Förderung und freust dich wie Bolle und im nächsten Punkt stellst du fest, dass unendlich viel Papierkram dazu gehört, wenn du das ordentlich machen möchtest.
Und ich glaube, dass Deutschland und gerade auch Niedersachsen Gründern sehr viel zu bieten hat und auch die Bankenwelt im Förderbereich ordentlich aufgestellt ist. Aber die Prozesse, die drumherum sind, die sind teilweise schon extrem bürokratisch. Hätten wir nicht den ehemaligen Chef-Controller von der TUI bei uns im Team, der sich um unsere Financials kümmert, der diese Muße hat, diese Themen wirklich durchzuarbeiten, ich glaube wir hätten häufig abends heulend vor dem Tisch gesessen. Es ist einfach ein Wahnsinn und hat so wenig mit dem Thema Gründen zu tun. Aber das gehört auch dazu.
Könnten Sie daraus resultierend sagen, welche Charaktereigenschaften man als UnternehmerIn mitbringen sollte, um sich behaupten zu können?
Es gibt eine ganz besonders wichtige Eigenschaft, und das ist Leidenschaft. Sicherlich ist es auch wichtig, eine gute wirtschaftliche Kompetenz mitzubringen.
Für mich ist es eine sehr große Verantwortung. Unser Team wächst kontinuierlich. Wir haben die ersten MitarbeiterInnen, die Kinder bekommen haben und in die Elternzeit gehen. Die müssen danach wieder eingegliedert werden. Das ist für ein kleines Unternehmen eine Herausforderung. Als Unternehmen musst du überlegen, wie machst du das in der Zeit, wo diese Arbeitskraft fehlt oder welche Voraussetzungen musst du schaffen, dass sie oder natürlich auch er gut wieder zurückkommen kann.
Du trägst bei all diesen Fragen sehr viel Verantwortung. Ich glaube, diese Ernsthaftigkeit muss man neben der Leidenschaft mitbringen. Das bedeutet auch verlässlich zu sein. Leidenschaft und Verlässlichkeit, das könnten die beiden ganz wesentlichen Kernthemen sein.
Was waren bislang Ihre positivsten Erfahrungen?
Schwer zu sagen, weil es so unterschiedliche Formen von positiven Erfahrungen gibt, wo man sich ein wenig wie ein kleines Kind fühlt. Das ist der 500ste Kunde, den du gehabt hast, dann ist es irgendwann der 1000ste Kunde und man ist ganz außer sich vor Freude.
Aber auch, dass ein Kunde dem ganzen Team einen Brief schickt und sich bedankt. Das ist auf gut Deutsch gesagt: geil! Natürlich kommt nicht andauernd ein Brief über eine DIN A4-Seite als Dankeschön. Das Team bekommt beispielsweise unerwartet einen Präsentkorb geschickt, oder du siehst plötzlich eine neue Bewertung über VersaCommerce auf einem Bewertungsportal, wo der Support gelobt wird.
Auch die Entwicklung vom Team gehört zu den sehr positiven Erfahrungen. Wir haben angefangen mit einer ganz kleinen Kernmannschaft und dann kommen Neue dazu, und die sind zu Beginn nicht wirklich dabei – die müssen erstmal das Unternehmen erleben, die müssen das Produkt erleben. Für mich gibt es diesen einen Moment, wo ich denke, jetzt fängt er an sich mit VersaCommerce zu identifizieren. Man sieht plötzlich, wow, bei dem ist jetzt gerade was passiert, der tritt aus seiner Komfortzone raus und macht etwas für das Team, macht etwas für das Unternehmen, macht etwas für das Produkt.
Auch wenn ich sehe, dass das Team sich gegenseitig hilft. Natürlich sollten sich rein formell die Mitarbeiter in einem Unternehmen unterstützen, aber ich glaube, es sind manchmal die kleinen Gesten, die entscheidend sind. Wenn ein Mitarbeiter mitbekommt, dass irgendwo bei jemandem privat etwas anbrennt und sagt: “Du, soll ich heute für Dich mit einkaufen gehen?” Das sind Kleinigkeiten, aber das sind schöne Erlebnisse, die ich hier im Unternehmen habe und die mich immer dazu motivieren, weiter zu machen und das Unternehmen weiter voranzubringen, zu kultivieren.
Wir haben ja eben von Gründern und Startups gesprochen. Fakt ist, dass ein Startup nicht mit 100% Arbeitsbelastung pro Mitarbeiter anfängt, sondern mit 120%. Dann ist es umso schwerer, dass diese Situationen entstehen.
Das sind tolle Sachen, die ich hier erleben darf!
Welche Vision haben Sie für VersaCommerce langfristig und was sind die nächsten Schritte bei der Entwicklung des Unternehmens?
Zu dem Langfristigen möchte ich heute gar nichts sagen. Über das Mittelfristige können wir sprechen. Das passiert in den nächsten 12-18 Monaten:
Wir werden das Thema Multichannel für den größten Marktplatz der Welt – das ist Amazon – mehr als vorbildlich lösen. Wir arbeiten dabei mit Amazon zusammen. Wir werden dafür eine Lösung anbieten, um seine eigene Marke in seinem eigenen Online-Store pflegen zu können und gleichzeitig ein erfolgreiches Amazon-Geschäft zu machen. Wir werden zudem viele kleinere Features bringen, die dem professionellen Händler den Alltag viel effizienter machen werden. Dabei werden wir versuchen, immer einfacher zu werden, also immer angenehmer.
Zu der Frage, was die Ziele von VersaCommerce sind. Ich kann das Thema nochmal zusammenfassen:
Der zweite Teil der Frage bezog sich auf die Entwicklung des Unternehmens. Wir stärken gerade unsere Support-Mannschaft und hier wollen wir uns ein bisschen vom typischen Support, so wie er gesehen wird, unterscheiden. Wir wollen nicht den Support leisten, der eigentlich nur aus einem Handbuch abliest – also dass eine Kundenanfrage kommt und ich schaue nur in das Handbuch, ob ich dort eine Antwort finde.
Wir haben gesagt, wir wollen „Support-Engineers” haben. Das bedeutet, das sind alles Mitarbeiter, die ein wirklich tiefgehendes Wissen zu dem Produkt, aber auch zu der Umsetzung für den Kunden haben. Wenn ein Kunde zum Beispiel sagt: „Verdammt, ich habe eine Marketingaktion gestartet und habe nicht so weit gedacht, ich brauche jetzt was Spezielles. Ich brauche bei diesen Produkten die Möglichkeit, dass hier ein Text zur Individualisierung angegeben werden kann – …und erschlagt mich nicht, aber ich brauche das Übermorgen.” Dann können das unsere Supporter machen.
Das bringt uns an den Anfang zurück. Wir wollen dem Händler den Raum geben, sich um seinen Bereich zu kümmern. Also sein Geschäft, den Handel voranzubringen. Mit VersaCommerce hat er dafür den perfekten Partner an seiner Seite.
Wir fangen zudem an, die organisatorische Schicht ausbauen, sodass wir mehr Mitarbeiter haben, die die Kollegen unterstützen, die organisieren, die helfen, dass die Dinge “smooth” laufen.
Wir wollen nicht so eine klassische Managementmittelschicht einführen, wir wollen weiter im Unternehmen mit einer sehr flachen Hierarchie arbeiten, wir wollen Mitarbeitern die Möglichkeit geben, für gewisse Zeiten verantwortungsvollere Rollen zu übernehmen. Aber ihnen auch die Chance geben, in einer bestimmten Zeit ihres Lebens flexibler zu sein. Sie haben zum Beispiel gerade ein Kind bekommen und möchten ein paar Stunden weniger in der Woche arbeiten. Diese Möglichkeit möchten wir als Unternehmen unseren Mitarbeitern bieten.
Das heißt, wir wollen nicht in die klassischen Hierarchien reingehen. Das ist natürlich eine Herausforderung für ein Unternehmen, wenn man gleichzeitig die Messlatte sehr hoch hängt und dennoch alles mit einer flachen Hierarchie erreichen möchte.
Ich glaube, dies gelingt uns ganz gut. Wir lernen jeden Tag, jede Woche dazu. Ich gehe davon aus, dass wir im nächsten Jahr ein Dutzend neue Mitarbeiter haben werden, und auch das ist eine große Herausforderung, wenn man die ordentlich in ein Unternehmen reinbekommen möchte. Auch die müssen ihren Platz finden. Das tun sie durch ihre Stärken und nicht über die Stellenausschreibung, die ist nur der erste Einstiegspunkt.
Herr Dorra, wir danken Ihnen für das Interview.